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Willkommenskultur als Mittel gegen den Fachkräftemangel – Wie internationale Studienabsolventinnen und -absolventen gewonnen werden
Um hochqualifizierte Fachkräfte ausländischer Herkunft für den Arbeitsmarkt zu gewinnen, braucht es eine ausgeprägte Willkommenskultur. Doch wie könnte diese aussehen? Gut 100 Arbeitsmarktexperten haben sich darüber bei einer Veranstaltung an der Goethe-Universität ausgetauscht. Veranstalter war der International Career Service Rhein-Main, ein Verbund von fünf öffentlichen Hochschulen in Südhessen.
FRANKFURT. Gerade in den urbanen Gebieten Hessens wie der Region Rhein-Main suchen Arbeitgeber händeringend nach Fachkräften mit Studienabschluss. Die Lage ist schon jetzt sehr angespannt und wird sich durch den Altersaustritt der „Babyboomer“ nochmals verschärfen. Allein auf dem Frankfurter Arbeitsmarkt werden bis zum Jahr 2030 rund 28.000 Akademiker fehlen. Dies zeigen die Prognosen, die das Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität im Auftrag der hessischen Landesregierung erstellt hat (www.hessische-berufsprognosen.de).
Um gegen diesen Mangel anzugehen, ist Kreativität gefragt. Ein beträchtliches Potenzial liegt in den rund 25.000 internationalen Studierenden, die derzeit an den fünf öffentlichen Hochschulen in Südhessen (Goethe-Universität Frankfurt a.M., Technische Universität Darmstadt, Frankfurt University of Applied Sciences, Hochschule Darmstadt und Hochschule Rhein-Main) studieren. Die wenigsten der an hessischen Hochschulen qualifizierten internationalen Studienabsolventen gelangt in der Regel in ein Beschäftigungsverhältnis auf dem hessischen Arbeitsmarkt. Dafür gibt es viele Gründe: Viele Internationale haben während des Studiums kaum Berührungspunkte mit der Region, sie kennen sich nicht aus mit dem Arbeitsmarktzugang hierzulande, manchen fehlen die erforderlichen Deutschkenntnisse. So zeigen Studien des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst), dass die Bereitschaft zum Bleiben zwar groß ist, viele internationale Studierende und Absolventen aber die damit verbundenen Hürden nicht überwinden können.
Deshalb fördert das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur seit 2023 aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds Plus und aus Landesmitteln den Aufbau des „International Career Service Rhein-Main (ICS RM)“ finanziell und berät fachlich. Dazu Christoph Degen, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur: „Wir tragen mit diesem Dienst zur Fachkräftesicherung bei. Dabei müssen wir an den Hochschulen, wo zukünftige Fachkräfte ausgebildet werden, auch internationale Studienabsolventen ansprechen und gewinnen. Das liegt an einem so internationalen Standort wie dem Rhein-Main-Gebiet besonders nahe.“
Der International Career Service Rhein-Main ist ein Verbundprojekt der fünf öffentlichen Hochschulen in Südhessen. Die Johannes Gutenberg-Universität aus Mainz ist als assoziierter Partner beteiligt. Der Service unterstützt internationale Studierende mit Informationen zum deutschen Arbeitsmarkt oder dem Gründungsökosystem, macht sie mit Berufsfeldern und Unternehmen vertraut, hilft bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen und der Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen. „Wir bemerken eine konstant hohe Nachfrage und erhalten positive Rückmeldungen zu unseren Angeboten“, erklärt Jens Blank, der die Aktivitäten der beteiligten Hochschulen koordiniert.
Zudem wurde ein Runder Tisch und ein Beirat gebildet, als Brücke zwischen Hochschulen und gewerblicher Wirtschaft sowie Sozialwirtschaft. Da geht es etwa um die Frage, wie Studierende von Anfang an mit der Region in Kontakt kommen können. „Es gibt viele Angebote, aber die sind nicht gebündelt. Wir haben die Angebote jetzt im Tool RAISE (regionale Angebote für internationale Studierende) zusammengeführt. Das Tool steht allen, die internationale Studierende an den Hochschulen beraten, zur Verfügung“, sagt Christa Larsen. Die Leiterin des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur der Goethe-Universität (IWAK) koordiniert die Aktivitäten des Runden Tisches und des Beirats.
Damit internationale Studierende sowie Absolventinnen und Absolventen im Rhein-Main-Gebiet heimisch werden können, braucht es jedoch auch eine gelebte Willkommenskultur. Wenn es um die langfristige Einbindung in die Region geht, ist es entscheidend, ob die Menschen sich hier wohlfühlen. Die am Runden Tisch beteiligten internationalen Studierenden sind der Ansicht, dass hier noch Verbesserungsbedarf besteht. Prof. Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft vermittelte wichtige Einblicke aus der Forschung und verdeutlichte, dass die langfristige Bindung internationaler Akademikerinnen und Akademiker nur gelingen kann, wenn in Behörden und vor allem Betrieben die Willkommenskultur gelebt wird. Judith Freisburger vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung hat darüber gezeigt, dass es nicht ausreicht, wenn einzelne Beschäftigte geschult sind. Vielmehr sind es die Prozesse und Strukturen und vor allem die Betriebskultur, die Offenheit und Wertschätzung unterstützen können. Jonas Fidler, Geschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände, resümierte den erreichten Stand und die noch zu bewältigenden Herausforderungen Er verdeutlichte die hohe Sensibilität, die bei Betrieben und Verwaltungen bereits für die Notwendigkeit gelebter Willkommenskultur besteht. Darüber hinaus haben bereits viele Betriebe ihre Strukturen und Prozesse verändert, um mehr Offenheit und Partizipation zu ermöglichen. Diese könnten als Vorbilder noch besser sichtbar gemacht werden.
„Die Schaffung einer Willkommenskultur ist ein komplexer Prozess, der Zeit und vielfältiges Engagement erfordert. Es ist jedoch wichtig, sich bewusst auf den Weg zu machen“, so Prof. Sabine Andresen, Vizepräsidentin für Chancen, Karriereentwicklung und -förderung sowie Diversität und Gleichstellung in ihrem Grußwort. Das Projekt „International Career Service Rhein-Main“ biete einen hervorragenden Anlass, sich gezielt mit Willkommenskultur auseinanderzusetzen.
Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation der Goethe-Universität Frankfurt