Tag der Rhein-Main-Universitäten: Markt der Möglichkeiten zeigt Vielfalt der Kooperationsprojekte

Vor rund vier Jahren schlossen sich die Goethe-Universität Frankfurt am Main, die Technische Universität Darmstadt und die Johannes Gutenberg-Universität Mainz zur Strategischen Allianz der Rhein-Main-Universitäten (RMU) zusammen. Nun luden sie zum ersten Tag der RMU ins Frankfurter I.G.-Farben-Haus: Mehr als 250 Besucherinnen und Besucher konnten in Podiumsdiskussionen und auf einem Markt der Möglichkeiten erfahren, was die Allianz mittlerweile auf den Weg gebracht hat. Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Verwaltung stellten 40 Projekte vor, die häufig erst durch Förderung der RMU möglich wurden.

Die Spitzen der Rhein-Main-Universitäten und der Wissenschaftsministerien informieren sich beim „Markt der Möglichkeiten“ über das Projekt aus der Roboter-Forschung der TU. Bild: Uwe Dettmar

Die Diplommeteorologin Vera Bense erklärt das Kooperationsprojekt zu Transportprozessen in der Tropopausenregion. Bild: Uwe Dettmar

Ministerin Angela Dorn (Mitte) am Stand der Buchwissenschaft beim „Markt der Möglichkeiten“. Bild: Uwe Dettmar

Dr. Sabine Littig berichtet aus dem Kooperationsprojekt „Afrikaner*innen im Rhein-Main-Gebiet“. Bild: Uwe Dettmar

In der Talkrunde „Digital Humanities“ diskutierten Professorin Mira Mezini (TU, l.), Professor Alexander Mehler (Goethe-Universität, 2. v. l.), Professorin Iryna Gurevych (TU, 2. v. r.). Bild: Benjamin André

Lockerer und intensiver Austausch über „Accelerator Science“: Vizepräsident Professor Stefan Müller-Stach (Gutenberg-Universität), Professor Norbert Pietralla (TU) und Kurt Aulenbacher (Gutenberg-Universität, v. l. n. r.). Bild: Benjamin André

In der Talkrunde „Bachelorstudiengang Medizintechnik“ drehte sich alles um ein Rhein-Main-Erfolgsmodell. Vizepräsident Professor Roger Erb (Goethe-Universität), PD Paul Weigl (Goethe-Universität) und Professor Mario Kupnik (TU, v. l. n. r.) im Gespräch. Bild: Benjamin André

Klimaforschung: „Empirical Transport Time Scales in the Tropopause Region“

Vera Bense verfolgt den Kurs des Höhenforschungsflugzeugs HALO live auf ihrem Laptop. Die Diplommeteorologin deutet auf den Bildschirm: „Gerade fliegt es über Teneriffa.“ In drei Tagen wird die HALO Feuerland im äußersten Süden Argentiniens erreichen. Dann beginnt eine umfangreiche Messkampagne, die Aufschluss über die atmosphärischen Vorgänge der Südhemisphäre bringen soll.

Es geht um die Tropopausenregion, die Übergangszone zwischen der Troposphäre, die das Wettergeschehen bestimmt, und der darüber liegenden, stabileren Stratosphäre. Hier wirken Prozesse, die Auswirkungen auf das Klima haben. Sowohl Prof. Dr. Peter Hoor vom Institut für Physik der Atmosphäre der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als auch Prof. Dr. Andreas Engel vom Institut für Atmosphäre und Umwelt der Goethe-Universität Frankfurt forschen seit Jahren auf diesem Gebiet. Für das vom RMU-Initiativfonds Forschung geförderte Projekt „Empirical Transport Time Scales in the Tropopause Region“ haben sie sich zusammengetan.

„Die beiden Forschungsgruppen ergänzen sich sehr gut“, sagt Bense. „Die Frankfurter konzentrieren sich auf Messungen zum Spurengas Schwefelhexafluorid, wir Mainzer interessieren uns für Kohlendioxid.“ Beide Messungen sind wichtig, um die Prozesse in der Tropopausenregion zu verstehen. Für die Nordhemisphäre gibt es bereits Daten, doch für die Südhemisphäre fehlen sie weitgehend. Das soll sich nun ändern. Die Kooperation der beiden Universitäten ist eingebettet in ein größeres Konsortium mit weiteren Partnern, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Rolle der Tropopausenregion im Klimasystem besser zu verstehen.

 

Masterstudiengang Kinder- und Jugendliteratur-/Buchwissenschaft

„Das Institut für Jugendbuchforschung an der Frankfurter Goethe-Universität und die Buchwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sind für sich schon Leuchttürme“, konstatiert Prof. Dr. Ute Dettmar. „Nun haben wir uns für einen gemeinsamen Studiengang zusammengetan, und durch die regionale Nähe der beiden Universitäten können wir etwas wirklich Einmaliges bieten.“ Gleich zur anstehenden Premiere des neuen Joint Degree Masterstudiengangs Kinder- und Jugendliteratur-/Buchwissenschaft gab es auf die 20 zu vergebenden Plätze 55 Bewerbungen aus neun Bundesändern und dem Ausland. „Das ist ein hervorragender Start.“

Dettmar vertritt die Frankfurter Seite der Kooperation. „Wir bringen vor allem die literaturwissenschaftlichen Aspekte ein. Wir beschäftigen uns mit Erzählweisen, mit Erzählformen und mit der Frage, wie sich das Erzählen entwickelt.“ Die Mainzer Juniorprofessorin Corinna Norrick-Rühl nimmt den Faden auf: „Wir haben unter anderem buchökonomische Fragen und den Medienmarkt im Blick.“ Beiden gemeinsam ist die enge Verbindung zur Praxis und zur hiesigen Verlagslandschaft.

„In dieser außergewöhnlichen Kooperation werden wir neue Forschung betreiben“, kündigt Dettmar an. Dies werde auch über Fächergrenzen hinaus führen, denn Interdisziplinarität sei ein wichtiger Aspekt des Studiengangs. „Wir wollen auch nicht einfach nur an zwei Standorten Veranstaltungen anbieten, sondern gemeinsame Formate schaffen“, so Norrick-Rühl. „Ein Monitoring wird es uns zudem erlauben, Feinabstimmungen vorzunehmen und neue Impulse zu berücksichtigen.“

 

Praktikumsversuch Medizintechnik: Roboter als OP-Assistent

Unermüdlich und zielgenau sticht der Knickarm-Roboter eine Hohlnadel in den weichen Block vor ihm. „Dieser Roboter ist in einem 3D-Drucker entstanden, nur einige Teile mussten wir dazukaufen“, erzählt Prof. Dr. Mario Kupnik, Leiter des Fachgebiets Mess- und Sensortechnik der Technischen Universität Darmstadt. Felix Herbst studiert Elektrotechnik, er hat den robotischen OP-Assistenten im Zuge seiner Bachelor-Arbeit konstruiert. Preiswert sollte er sein, das war eine der Bedingungen, die Herbst zu erfüllen hatte. Tatsächlich hat die Herstellung gerade mal 600 Euro gekostet.

„Dieser Roboter wird nicht im klinischen Alltag zum Einsatz kommen, sondern in unserem neu konzipierten ,Praktikumsversuch Medizintechnik´“, sagt Kupnik. Angeregt wurde dieses innovative Lehrangebot durch die Einführung des Kooperationsstudiengangs Medizintechnik der TU Darmstadt und der Goethe-Universität Frankfurt. „Uns war klar, dass es in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist, unseren Studierenden praxisnah Kenntnisse im Bereich der Medizinrobotik zu vermitteln.“ Auch Studierende der Elektrotechnik und der Mechatronik werden ab dem kommenden Jahr den Praktikumsversuch durchführen: Das Anwendungsszenario „Automatisierte Nadeleinführung“ wird ihnen Gelegenheit geben, in kleinen Gruppen mit mehreren Robotern zu arbeiten und sie zu programmieren.

„Wir von der Technischen Universität bringen das technische Know-How für dieses Projekt mit“, so Kupnik. Die medizinischen Aspekte bringt Prof. Dr. Dr. Thomas J. Vogl, Direktor des Instituts für Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Frankfurt, in das Projekt ein. Ihre Kooperation wird über den RMU-Initiativfonds Lehre gefördert.

 

Graduiertenkolleg AccellencE: Accelerator Science and Technology für Energy-Recovery Linacs

In Darmstadt steht der erste Energy-Recovery Linac (ERL) Deutschlands, der Elektronenbeschleuniger S-DALINAC. In Mainz laufen Planung und Aufbau eines weiteren ERL im Exzellenzcluster PRISMA+: Der Beschleuniger MESA soll 2023 in Betrieb gehen. „Das ist eine einmalige Konstellation für unsere Doktorandinnen und Doktoranden“, freut sich Prof. Dr. Norbert Pietralla vom Institut für Kernphysik der Technischen Universität Darmstadt. „Sie können an unserer Anlage lernen und sich mit einem ERL vertraut machen. Sie können zugleich aber auch Ideen entwickeln für den neuen Mainzer ERL und seine Entwicklung begleiten. Das ergänzt sich hervorragend.“

Seit 2016 finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Graduiertenkolleg 2128 AccelencE, eine Kooperation der Institute für Kernphysik der Technischen Universität Darmstadt und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Der Fokus liegt dabei ganz auf den neuen und noch wenig erforschten ERL. Diese Teilchenbeschleuniger arbeiten besonders sparsam, indem sie die zur Beschleunigung der Teilchen aufgewendete Energie weitgehend wieder zurückgewinnen. Vereinfacht beschrieben: Während die Teilchen bisher einfach an die Wand gefahren werden, gelingt es hier, sie größtenteils zurückzuführen. Wo sonst zum Beispiel ein Gigawatt Energie benötigt würde, könnte beim ERL ein Megawatt ausreichen.

„Die Universitäten Mainz und Darmstadt haben herausragende Expertisen im Bereich der rezirkulierenden Elektronenbeschleuniger zu bieten“, sagt Pietralla, „davon profitieren unsere Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler.“ Das Graduiertenkolleg bilde die nächste Generation an Führungskräften in einer wichtigen Zukunftstechnologie aus.

 

Afrikaner*innen im Rhein-Main-Gebiet: Forschungsprojekt zu sprachlicher Integration

Anfang des Jahres starteten das Institut für Afrikanistik der Goethe-Universität Frankfurt und das Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ihr Forschungsprojekt „Afrikaner*innen im Rhein-Main-Gebiet“. Es geht dabei um Fragen der sprachlichen Integration: Wie erlernen Menschen, die aus Afrika stammen oder dort ihre Wurzeln haben, die deutsche Sprache? Welche Strategien nutzen sie? Was bedeutet der Spracherwerb für sie? Was passiert mit den Sprachen, die sie mitbringen?

„Dies ist ein echtes Pilotprojekt, bisher gab es noch nichts Vergleichbares“, betont Dr. Sabine Littig von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. „Afrikaner*innen im Rhein-Main-Gebiet“ wird vom RMU-Initiativfonds Forschung gefördert. In Frankfurt zeichnet Prof. Dr. Axel Fleisch verantwortlich, in Mainz Juniorprofessor Dr. Nico Nassenstein. Die Durchführung liegt überwiegend in den Händen von Littig und ihrer Frankfurter Kollegin Dr. Klaudia Dombrowsky-Hahn. Sie vereinen verschiedenste methodologische Ansätze, um Sprachauffassungen und kommunikativen Praktiken nachzuspüren. So eignen sich Menschen aus Afrika Sprachen eher auf informellem Wege an, also jenseits von Klassenräumen und Sprachkursen. Dieser spontane Spracherwerb ist bisher wissenschaftlich kaum untersucht, obwohl er höchst effektiv zu sein scheint.

„Die von uns Befragten sind meist ausgesprochen vielsprachig“, erzählt Littig von ersten Ergebnissen des Projekts. Auch stellte sich heraus, dass beim Aneignen der Alltagssprache andere kognitive Prozesse in Gang kommen als beim Erlernen des Hochdeutschen in einem Kurs. Doch dies sind nur allererste Einblicke. Das Projekt steht noch am Beginn.

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